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- Out 5, 2021
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Weihnachtsgazettchen
Hilfe, ich habe Weihnachten verpasst!
Von absurd bis witzig: In der täglichen Glosse „Gazettchen“ erzählen „Wort“-Autoren von ihren Erlebnissen rund um Weihnachten. Heute geht es um ein verwirrtes DDR-Kind am Tag des Mauerfalls.
Mein Verhältnis zu Weihnachten, Silvester und Neujahr ist gespalten. Das hat mit meinem sechsten Geburtstag zu tun. Der 9. November 1989. Ich hatte die Nachbarskinder bei mir, mit denen ich immer Rollschuhrennen durch unser mecklenburgisches Dorf veranstaltete. Wir aßen Muttis selbstgemachten Papageienkuchen, spielten Topfschlagen und ich bekam viele Geschenke, die mich froh machten.
Meine Eltern aber schienen im Laufe des Abends nicht mehr froh zu sein. Es war bereits spät und ich las in meinem neuen Buch, während Mutti und Vati neben mir auf der Couch fern sahen. Auf einmal wurden sie unruhig, ich las Fragezeichen in ihren Gesichtern. Und dann brachen sie in Tränen aus. Ich verstand gar nichts. Also stellte ich mich auf die Couch, hüpfte ein paar mal und rief: „Hey, heute ist mein Geburtstag, warum weint ihr?“ - „Die Grenzen sind auf“, sagte Vati. Das verstand ich immer noch nicht.
Die Grenzen sind auf, sagte Vati.
In den nächsten Tagen wurde ich dann immer verwirrter. Ich sah ein Feuerwerk im Fernsehen. Aber normalerweise kommt Feuerwerk doch erst nach den Geschenken, überlegte ich. Ich habe Weihnachten verpasst, das muss so sein, ich habe nämlich keine Geschenke bekommen. Vielleicht aber war ich nicht artig genug, überlegte ich dann. Und deshalb kam der Weihnachtsmann nicht zu mir.
Er kam dann doch noch. Mit sehr vielen Geschenken. Anscheinend war ich braver, als ich gedacht hatte. Und dann kam schon wieder ein Feuerwerk. Jetzt kam ich überhaupt nicht mehr klar. Mittlerweile bin ich froh über den Mauerfall in Berlin. Ich wäre sonst mit Sicherheit heute nicht in Luxemburg und könnte dieses Gazettchen nicht für Sie schreiben, liebe Leser.
Luxemburger Wort
Hilfe, ich habe Weihnachten verpasst!
Von absurd bis witzig: In der täglichen Glosse „Gazettchen“ erzählen „Wort“-Autoren von ihren Erlebnissen rund um Weihnachten. Heute geht es um ein verwirrtes DDR-Kind am Tag des Mauerfalls.
Mein Verhältnis zu Weihnachten, Silvester und Neujahr ist gespalten. Das hat mit meinem sechsten Geburtstag zu tun. Der 9. November 1989. Ich hatte die Nachbarskinder bei mir, mit denen ich immer Rollschuhrennen durch unser mecklenburgisches Dorf veranstaltete. Wir aßen Muttis selbstgemachten Papageienkuchen, spielten Topfschlagen und ich bekam viele Geschenke, die mich froh machten.
Meine Eltern aber schienen im Laufe des Abends nicht mehr froh zu sein. Es war bereits spät und ich las in meinem neuen Buch, während Mutti und Vati neben mir auf der Couch fern sahen. Auf einmal wurden sie unruhig, ich las Fragezeichen in ihren Gesichtern. Und dann brachen sie in Tränen aus. Ich verstand gar nichts. Also stellte ich mich auf die Couch, hüpfte ein paar mal und rief: „Hey, heute ist mein Geburtstag, warum weint ihr?“ - „Die Grenzen sind auf“, sagte Vati. Das verstand ich immer noch nicht.
Die Grenzen sind auf, sagte Vati.
In den nächsten Tagen wurde ich dann immer verwirrter. Ich sah ein Feuerwerk im Fernsehen. Aber normalerweise kommt Feuerwerk doch erst nach den Geschenken, überlegte ich. Ich habe Weihnachten verpasst, das muss so sein, ich habe nämlich keine Geschenke bekommen. Vielleicht aber war ich nicht artig genug, überlegte ich dann. Und deshalb kam der Weihnachtsmann nicht zu mir.
Er kam dann doch noch. Mit sehr vielen Geschenken. Anscheinend war ich braver, als ich gedacht hatte. Und dann kam schon wieder ein Feuerwerk. Jetzt kam ich überhaupt nicht mehr klar. Mittlerweile bin ich froh über den Mauerfall in Berlin. Ich wäre sonst mit Sicherheit heute nicht in Luxemburg und könnte dieses Gazettchen nicht für Sie schreiben, liebe Leser.
Luxemburger Wort